Susanne Jensen Pastorin


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1. Sonntag nach Epiphanias über Jesaja 42,1-4 (Begrüßung in der Kirchengemeinde Hütten)
Liebe Gemeinde!

Als ich den Predigttext 
für meine erste Predigt in der Hüttener Kirche 
gelesen hatte, dachte ich gleich:
 
So ist´s recht: 

Das erste Gottesknechtslied aus dem Buch Jesaja,
eines der großen Texte des Alten Testaments,
biblisches Urgestein mit großer Wirkungsgeschichte.

Ich lese aus dem Buch Jesaja, Kapitel 42, die Verse 1-4:
Siehe, das ist mein Knecht 
- ich halte ihn - 
und mein Auserwählter, 
an dem meine Seele Wohlgefallen hat. 
Ich habe ihm meinen Geist gegeben; 
er wird das Recht unter die Heiden bringen.
Er wird nicht schreien noch rufen, 
und seine Stimme wird man nicht hören auf den Gassen.
Das geknickte Rohr wird er nicht zerbrechen, 
und den glimmenden Docht wird er nicht auslöschen.
In Treue trägt er das Recht hinaus.
Er selbst wird nicht verlöschen und nicht zerbrechen, 
bis er auf Erden das Recht aufrichte; 
und die Inseln warten auf seine Weisung.

Entstanden ist dieser prophetische Text 
in der 2. Hälfte des 6. Jahrhunderts vor Christus.

Das Volk Israel befand sich im Babylonischen Exil.

Jerusalem lag total zerstört danieder,
der Tempel war bis auf die Grundmauern niedergebrannt,
weite Teile der Bevölkerung in Feindesland verschleppt ...

In Gefangenenlagern lebten die verschleppten Juden,
und hofften, ja, sehnten sich nach dem Eingreifen Gottes,
nach der Rettung und Rückkehr in die Heimat.

In dieser Atmosphäre sind 
die Trostworte Jesajas entstanden.

Ein Lichtstreif war schon am Horizont zu sehen:
Der mächtige Perserkönig Kyrus schickte sich an 
gegen das Babylonische Reich zu kämpfen.
Zwei altorientalische Großmächte 
standen sich gegenüber. 

Und es war klar, 
dass nur eines von beiden Reichen auf Dauer
die Oberherrschaft im Orient behalten würde.

Die Wende war für Israel mit Händen zu greifen.
Doch ob es so sein würde,
ob tatsächlich die Perser siegen würden,
und damit gleich Rettung und Rückkehr 
in Sicht war, das stand noch offen ...

In dieser politischen Großwetterlage
verkündete der Prophet Jesaja Gottes Wort ...
Siehe, das ist mein Knecht ... mein Auserwählter, 
an dem meine Seele Wohlgefallen hat. 

Mein Knecht, mein Auserwählter ...

Wer ist diese Gestalt?

Etwa der Perserkönig Kyrus,
von dem ja dann auch Hilfe kommt?
Oder das Volk Israel -
dass in der Bibel öfters als Knecht Gottes
bezeichnet wird?
Oder Jesus von Nazareth, 
wie es die christliche Bibelauslegung deutet.

Ist „mein Knecht“ 
ein Individuum oder ein Kollektiv?

Die Frage bleibt für den suchenden Menschen offen.
Der Glaube hat eine Chance -

Mein Knecht - mein Heiland und Erlöser ...?
Welches Gesicht hast Du?
Welche Gestalt hast Du?

„Mein Knecht“ im Rampenlicht -
im Zentrum der Aufmerksamkeit.
Vorgestellt von einem Künder Gottes, dem Jesaja:

Er wird nicht schreien noch rufen, 
und seine Stimme wird man nicht hören 
auf den Gassen.

Der Gottesknecht ist leise.

	Das geknickte Rohr 
wird er nicht zerbrechen, 
und den glimmenden Docht 
wird er nicht auslöschen.

Der Gottesknecht ist sanft.

	In Treue trägt er das Recht hinaus.

Der Gottesknecht ist gerecht.

Eigentlich stelle ich mir einen Retter
nicht leise und sanft vor,
oder gar so leidend, 
wie es das vierte Gottesknechtslied drastisch beschreibt:
	Als er gemartert ward, litt er doch willig
	und tat seinen Mund nicht auf wie ein Lamm
	das zur Schlachtbank geführt wird;
	und wie ein Schaf, das verstummt vor seinem Scherer,
	tat er seinen Mund nicht auf ...

Genug vom 4. Gottesknechtslied.
Denn kalt geht es mir dabei den Rücken runter.

Anders stelle ich ihn mir vor:
kraftvoll, stark ... 
voll Power - 
einer, der die Geschichte in die Hand nimmt,
der das Ruder rumreist,
einer, der weiß wo´s  lang geht ...

Einen Retter mit Durchsetzungsvermögen,
mit einer starken Schulter -
eine charismatische Führungspersönlichkeit.

Eben einen siegreichen Helden.

So wünschte ich ihn mir.
Er soll Erfolg haben -
und Kraft haben, das Recht Gottes,
ja, das Friedens-Reich Gottes aufzurichten.

Das ist nicht nur mein persönlicher Wunsch, 
meine Sehnsucht,
die ganze Welt sehnt sich 
nach Frieden und Gerechtigkeit.

Von wo kommt Hilfe her?
Von einem leisen und sanften Gottesknecht,
der bereit ist zu leiden und zu sterben?

Ist es dieser Jesus von Nazareth,
von dem die Hilfe her kommt?
Kann die Welt auf ihn hoffen,
als Retter und Erlöser?

Ein sehr trauriges Gedicht las ich dazu bei Erich Kästner:
Dem Revolutionär Jesus zum Geburtstag
Zweitausend Jahre sind es fast,
seit du die Welt verlassen hast,
du Opferlamm des Lebens!

Du gabst den Armen ihren Gott.
Du littest durch der Reichen Spott.
Du tatest es vergebens!

Du sahst Gewalt und Polizei.
Du wolltest alle Menschen frei 
und Frieden auf der Erde.

Du wusstest, wie das Elend tut
und wolltest alle Menschen gut,
damit es schöner werde!

Du warst ein Revolutionär
und machtest dir das Leben schwer
mit Schiebern und Gelehrten.

Du hast die Freiheit stets beschützt
und doch den Menschen nichts genützt.
Du kamst an die Verkehrten!

Du kämpftest tapfer gegen sie
und gegen Staat und Industrie
und die gesamte Meute.

Bis man an dir, weil nichts verfing,
Justizmord, kurzerhand, beging.
Es war genau wie heute.

Die Menschen wurden nicht gescheit.
Am wenigsten die Christenheit,
trotz allem Händefalten.

Du hattest sie vergeblich lieb.
Du starbst umsonst.
Und alles blieb    -      beim alten.

Nach dem Gedicht Erich Kästners
hatte der Revolutionär Jesus 
mit seiner Mission keinen Erfolg.

Denn alles blieb beim alten ...

Die Schwachen werden Opfer,
werden beiseite geschoben, getreten,
unterdrückt, ausgebeutet -
zu allen Zeiten - bis auf den heutigen Tag.
Das ist die brutale Realität.

Die Verletzlichen werden zerbrochen,
die Zerbrochenen werden ausgelöscht.

Die ganze Welt sehnt sich nach Frieden und Gerechtigkeit.

Von wo kommt Hilfe her?
Von einem leisen und sanften Gottesknecht,
der bereit ist zu leiden und zu sterben?

Mein Glaube sagt - JA.
Gegen meine anfänglichen Wünsche 
nach sofort wahrnehmbarer Verbesserung
sagt mein Glaube - JA.

Gegen die Realität sagt mein Glaube - JA.
Hilfe kommt von ihm - ganz anders.

Denn der leise und sanfte Gottesknecht
weiß, wie es sich anfühlt:
mit gebrochenen Gliedern am Boden zu liegen -
Er weiß, wie weh sich Armut 
und Hunger anfühlt.

Mein Knecht - mein Heiland und Erlöser.

Dir glaub ich dein Mitleid und deine Solidarität.
Denn du hast dich zu uns Menschen gestellt.
Hast dich hineingelebt in unsere Schwäche -
gehst mit uns - neben uns - in uns.

Du hältst deine Hand
über den verglimmenden Docht,
dass ihn nicht ein Windhauch ausbläst.
Du streichelst sanft 
das geknickte Rohr
Im Namen Gottes


AMEN