Susanne Jensen


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Predigt zu Joh. 15,9-12 am 21. Sonntag nach Trinitatis 2001  
   
Liebe Gemeinde!

Unsere Welt steckt voller Gegensätze:

Hoch - tief
Kalt -warm
Tag - Nacht
Hell - dunkel
Schwarz - Weiß
Gegensätze in Vielzahl

Es gibt die Schwärze der Nacht, dunkelste Dunkelheit,
und strahlend helles Weiß.

Zwischen diesen Extremen gibt es Zwischengrade.

Allein, wenn man ein Ei kocht:
da gibt es die fast noch flüssigen Eier nach englischer Art - 4 Minuten-Eier,
da gibt es die hart gekochten Eier - die Ostereier mit 10 bis 12 Minuten Kochzeit.
Was ist ein hartes Ei? - Geschmackssache? - Objektiv feststellbar?
Dem einen ist das 7 Minuten-Ei zu hart, dem andern zu weich.

Bei Schwarz - Weiß
lässt sich schon genauer feststellen, was wirklich schwarz und 
was weiß ist.
Wie bei hart und weich gibt es ein Dazwischen - Zwischentöne,
ja, Grautöne: vielfältige Schattierungen, Grau-Muster des Lebens.

Bei Schwarz-Weiß-Fotos kann man die Vielfalt von Grautönen sehr schön beobachten. Viele Fotografen bevorzugen Schwarz-Weiß-Filme.

Mich interessiert heute, was so dazwischen liegt.
Das nicht Eindeutige - das Durchmischte - die Grautöne.

Angeregt wurde ich durch dem Predigttext aus dem Johannesevangelium, Kapitel 15, 9-17:
9 Wie mich mein Vater liebt, so liebe ich euch auch. Bleibt in meiner Liebe!
10 Wenn ihr meine Gebote haltet, so bleibt ihr in meiner Liebe, wie ich meines Vaters Gebote halte und bleibe in seiner Liebe.
11 Das sage ich euch, damit meine Freude in euch bleibe und eure Freude vollkommen werde.
12 Das ist mein Gebot, dass ihr euch untereinander liebt, wie ich euch liebe.
13 Niemand hat größere Liebe als die, dass er sein Leben lässt für seine Freunde.
14 Ihr seid meine Freunde, wenn ihr tut, was ich euch gebiete.
15 Ich sage hinfort nicht, dass ihr Knechte seid; denn ein Knecht weiß nicht, was sein Herr tut. Euch aber habe ich gesagt, dass ihr Freunde seid; denn alles, was ich von meinem Vater gehört habe, habe ich euch kundgetan.
16 Nicht ihr habt mich erwählt, sondern ich habe euch erwählt und bestimmt, dass ihr hingeht und Frucht bringt und eure Frucht bleibt, damit, wenn ihr den Vater bittet in meinem Namen, er's euch gebe.
17 Das gebiete ich euch, dass ihr euch untereinander liebt.

Liebe - das ist das Signalwort,
das mich dazu brachte über den Gegensatz von Liebe und Hass nachzudenken.

Bleibt in meiner Liebe!  Mit Ausrufungszeichen!
Das Wort tönt mir entgegen -
und ich suche in mir nach Resonanz.
Jesu Worte tönen laut, so kommt es mir vor.
Er gebietet - gibt ein Gebot:
Liebt euch untereinander, wie ich euch liebe.

Der Text löst bei mir Unbehagen aus.
Liebe untereinander - geboten? 
Nur die sich Liebenden bleiben bei Jesus.
Wer diese Anforderung nicht erfüllt, gehört nicht zu ihm.
Gibt es einen exklusiven Kreis, der sich untereinander Liebenden?

Nur lieben zu sollen -  drückt ganz schön.
Ich bin auf der Suche nach einer Lösung, einer Erklärung.

Der Gegensatz zur Liebe ist der Hass.
Das Johannesevangelium hat auch den Hass im Blick.
Im 15. Kapitel heißt es:
Wenn euch die Welt hasst, so wisst, dass sie vor euch gehasst hat.
Wäret ihr von der Welt, 
so hätte die Welt das Ihre lieb.
Weil ihr aber nicht von der Welt seid,
sondern ich euch aus der Welt erwählt habe,
darum hasst euch die Welt.

Jetzt sehen wir schärfer, jedenfalls in Bezug auf Liebe und Hass:
Die Jünger Jesu werden gehasst, weil sie in Jesu Liebe sind und
sich untereinander lieben.

Der Evangelist Johannes, der das Johannesevangelium 100 n.Chr.
verfasst hat, denkt in Extemen. Typische johanneische Exrteme sind:
Licht - Finsternis
Geist - Fleisch
Wahrheit - Lüge
Liebe - Hass

Was ist mit der Gefühlsbreite dazwischen, 
dem gemischten Gefühl?
Zwischen Liebe und Hass gibt es doch unendlich viel?

Nein, zur Jesu-Truppe gehören keine Lauen.
Die Lauen, die nicht Kalten, 
die nicht Warmen - sondern Lauen - die werden ausgespuckt.

Wo will ich mich dort verorten?
Bin ich so eine Laue - und darum von Jesus gar nicht gemeint?
Er meint ja doch einen bestimmten Kreis, Leute, die das bringen,
Leute, die nicht so schwankend sind.

Ich bin aber doch auf Jesu Namen getauft.
Ich versuche mich auch nach Gottes Geboten auszurichten -
so gut und aufrichtig ich es eben kann.
Und doch würde ich mich bezeichnen
als Eine-von-dieser-Welt. 

Ich bin von dieser Welt - Kind dieser Welt.

Ich gehöre hier her - mitten ins gemischte Leben.
In mir brodeln underschiedlichster Gefühle.

Als ich den Predigttext zum ersten Mal las, dachte ich sofort an einen Hollywood-Film von 1955 
„The night of the hunter - Die Nacht des Jägers“ 
Dieser Film war ein Kultfilm mit Robert Mitchum in der Hauptrolle.
Er ist der Bösewicht - hat eine finstere Ausstrahlung und
symbolisiert die Bedrohung. 
Auf seiner rechten Hand steht eintättowiert: LOVE - Liebe;
und auf seiner linken Hand HATE - Hass.
Der Film konfrontiert mit Gut und Böse - mit Liebe und Hass.
Wie es in traditionellen amerikanischen Filmen so ist, 
siegt am Schluss das Gute.

Das Eigenartige am Film war,
obwohl das Gute am Ende siegte, 
dass das Böse - in Gestalt des mordenden Priesters - doch so viel Raum hatte. 
Er mordete sich durch den Film und gewann Macht -
die Faszination des Bösen schlechthin.

Heute kann man Menschen treffen,
die sich LOVE und HATE auf die Hände tätowieren lassen.
Das kommt von diesem Film her, 
der so viel Ausstrahlungskraft - Symbolkraft hat.

Warum ist das so?
Warum hat das Böse - der Hass so viel Macht?
Wenn ich darüber nachdenke, 
scheint es mir gut doch ganz auf der Seite der sich Liebenden zu sein.
Ich will nicht auf die Seite des Hasses abgleiten,
sondern auf der Seite der Liebe bleiben.

Schwer ist das - anstrengend.
Vorbildhaftes Jüngerverhalten zu leben.
Nicht lauwarm sondern liebend -
Nächstenliebend - Feindesliebend ... zu sein.

Ich lese den Text immer wieder durch,
und frage mich, ob ich nicht doch dazugehören kann.
Zu diese sich liebenden Gruppe,
die nicht von dieser Welt ist - 
weil sie Jesu Gebot erfüllt.
Da springt mir der Satz entgegen:
niemand hat größere Liebe als die,
dass er sein Leben lässt für seine Freunde.

Extrem - soweit geht das.
Ich habe es gewusst, es wird zu viel verlangt.

Sein Leben geben ...

Mir fällt Janusz Korczak dazu ein.

Dieser jüdische Schriftsteller, Arzt und Pädagoge musste 
am 8. August 1942 mit seinen Waisenkindern zum Umschlagplatz
am Danziger Bahnhof in Warschau. 
Auf die 200 Waisenkinder des Warschauer Ghettos 
mit ihrem Arzt Janusz Korczak 
wartete der Tod - der Abtransport nach Treblinka.
Es ist ein kurzer Wortwechsel überliefert zwischen 
dem Platzkommandant und Korczak. 
Der Kommandant: „Sie haben den Bankrott des kleinen Jack geschrieben?“ 
„Ja“ „Ein gutes Buch. Ich habe es gelesen, als ich klein war. Steigen sie aus.“
Korczak: „Und die Kinder?“
„Die Kinder fahren. Aber sie können hierbleiben.“
„Sie irren sich“, erwiderte Korczak, nicht jeder ist ein Schuft.“
und er schlug die Waggontür hinter sich zu.

Bei Korczak lass ich auch:
Ich liebe die Menschen, 
denn Gott ist in ihnen.
Ich liebe Gott im Menschen 
und den Menschen in Gott.

Kann man Gottes- und Nächstenliebe schöner ausdrücken.

Dieser gläubige jüdische Arzt lebte das Extrem vor.
Sein Leben lassen für seine Freunde.

Wenn ich als Erwachsene nachdenke
über die Situation unserer Kinder - der Kinder der Welt,
möchte ich versuchen, um der Kinder willen,
mehr auf der Seite der Liebe zu stehen.

Erziehungsdebatte hin und her,
autoritär - antiautoritär 
Auf ihre Würde kommt es an.
Darum geht es - die Menschenwürde.

So viel Hässliches - Gefährliches wartet / ja lauert
auf Straßen, auf Schulhöfen, 
ja, zu Hause - vor den Fernsehapparaten - 
an allen Ecken und Enden 
werden unsere Kinder - werden wir selbst
mit Unverdaulichem überschwemmt,
mit Gewalt und Angst.

Lasst uns dieser lebensverneinenden Gewalt
etwas entgegensetzen -
lasst es spürbar werden, dass wir mit Jesus an der Seite
auch protestieren können, 
wenn Mitmenschen Unrecht geschieht.

Obwohl es das Schwarz gibt -
die Schwärze der Nacht - die dunkelste Dunkelheit.

„Sie irren sich“, erwiderte Korczak, nicht jeder ist ein Schuft.“
und er schlug die Waggontür hinter sich zu.

AMEN