Susanne Jensen


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Predigt zu Jes 49,13-16 am 30. Dezember 2001  
   
Liebe Gemeinde!

In schwierigen Lebenssituationen,
wenn es hart auf hart geht,
wenn ein riesiger Berg vor einem liegt,
oder eine Wüste -

Ja, in Not und Schmerzen,
begegnet man Sätzen wie:
Ende gut alles gut.
Wer weiß, wofür es gut ist.
Kiek an End - Schau auf´s Ende hin.
Ich weiß nicht, wie es ihnen mit solchen Sätzen geht,
Sätze in denen durchaus etwas Wahres drinsteckt.

Es kann am Ende ganz anders ausschauen.
Dann ist alles okay - man hat dazugelernt,
Erfahrungen gemacht - ist reifer geworden ...
und vielleicht geht es einem auch 
am Ende besser.

Mich persönlich können solche Aussagen
in schwieriger Lage zur Weißglut bringen.
Ich kann sie ganz schwer hören.

Ich denke:
In der Wüste, oder vor dem Berg,
ist das Ende nicht zu sehen.
Dunkle Gefühle kommen auf:
Traurigkeit - Verzweiflung,
endloses Abmühen.

Wenn ich es überstanden hab´,
das Schwere, die Durststrecke,
dann habe ich eine andere Sicht der Dinge,
ja, dann kann ich auch gut sagen:
Schwer war´s - Doch Ende gut alles gut.

Es geht in dem heutigen Predigttext
um die Situation vor dem Berg
und hinter dem Berg.

Es geht um Jubel und Klage -
und um Zuspruch.

Ich lese den Text aus Deuterojesaja,
dem Zweiten Jesaja - Kapitel 49, Verse 13 bis 16:

Jauchzet, ihr Himmel;
freue dich, Erde!
Lobet, ihr Berge, mit Jauchzen!
Denn der HERR hat sein Volk getröstet
und erbarmt sich seiner Elenden. 
Zion aber sprach:
Der HERR hat mich verlassen,
der Herr hat meiner vergessen.
Kann auch ein Weib ihres Kindleins vergessen,
daß sie sich nicht erbarme über den Sohn ihres Leibes?
Und ob sie seiner vergäße,
so will ich doch deiner nicht vergessen.
Siehe, in die Hände habe ich dich gezeichnet;
deine Mauern sind immerdar vor mir.

Wenn ich den Text recht verstehe,
kommt erst der Jubel, dann die Klage
und dann noch der Zuspruch.  (in dieser Reihnfolge)
 
Sind diese Worte 
vor dem Berg oder hinter dem Berg entstanden ... ?
oder gehören sie gar nicht zusammen,
wie es uns die wissenschaftliche Bibelauslegung
weiß machen will?        ( erklären möchte )

Ein Blick in die Geschichte Israels
kann vielleicht Klarheit verschaffen:

Deuterojesaja schrieb seine Prophezeiungen
in der zweiten Hälfte des 6. Jahrhunderts vor Christus.
Der Perserkönig Kyrus war an der Macht,
er war erfolgreich im Krieg und bedrohte
das babylonische Reich - den Feind Israels.

539 war die Wende mit Händen zu greifen,
Kyrus besiegte bei Opis am Fluß Tigris die
babylonische Streitmacht -
ein Jahr später erlaubte Kyrus den im
babylonischen Exil lebenden Juden
in ihre Heimat zurück zu kehren.

Die Kriegsgefangenen, die Deportierten,
durften ihre Lagerdörfer in Mesopotamien verlassen,
50 000 Menschen war der erste Heimkehrer-Zug stark.

Sie durften die heilige Stadt, Jerusalem, 
wieder aufbauen, durften die Grundmauern 
für den abgebrannten Tempel wieder legen.

Jauchzet, ihr Himmel;
freue dich, Erde!
Lobet, ihr Berge, mit Jauchzen!
Denn der HERR hat sein Volk getröstet
und erbarmt sich seiner Elenden. 

Das Exil hat ein Ende.
Die Wüste der Verbannung ist durchschritten,
der unüberwindliche Berg liegt hinter ihnen.
Alle jauchzen und jubeln über den barmherzigen Gott.

Echte Freude,
fast überschäumende Freude ist zu spüren.
Die ganze Schöpfung, Himmel und Erde,
sind dabei - jubeln, lachen, singen ...

An einer anderen Stelle im Buch Jesaja, Kapitel 55,
wird die Freude der Natur über die Befreiung Israels
ganz Bildhaft beschrieben:

Berge und Hügel sollen vor euch her frohlocken 
mit Jauchzen und alle Bäume 
auf dem Felde in die Hände klatschen.
Es sollen Zypressen statt Dornen wachsen 
und Myrten statt Nesseln. 
Und dem HERRN soll es zum Ruhm geschehen 
und zum ewigen Zeichen, das nicht vergehen wird. 

Echte Freude
am Ende einer langen Durststrecke.

Im Predigttext folgt dem Freudenhymnus
eine heftige, eindringliche Klage.

Zion aber sprach:
Der HERR hat mich verlassen,
der Herr hat meiner vergessen.

Zion, die Verbannten - die Gefangenen klagen.

Keine lange Rede - nur zwei kurze Sätze.
Der Herr hat mich verlassen - 
Der Herr hat meiner vergessen -

Bittere Worte,
gesprochen in totaler Verlassenheit.

Diese Worte der Anklage
sind nicht weg retuschiert worden,
sie stehen im Text neben,
ja nach dem Lobpreis Gottes.

Das find ich gut.
Denn in diesen Worten 
kommen echte Gefühle zum Ausdruck -
wie man sich fühlt in einer endlosen Wüste,
wie man sich fühlt vor einem schier 
unüberwindbarem Berg - 
allein, verlassen und vergessen.

Das unmittelbare Nebeneinander
von Lob und Klage ist auch aus den Psalmen bekannt:
Da wird in einem Atemzug gesagt,
dass Gott ein Fels ist,
und dass er einen vergessen hat.

So Psalm 42, Vers 10:
Ich sage zu Gott, mein Fels:
Warum hast du mich verlassen?
Warum muss ich so traurig gehen,
wenn mein Feind mich dränget?

Gottesferne ist schrecklich.
Das Abwenden seines Angesichts -
sein Wegkucken - sein Schweigen.
Schrecklich, ein verborgener Gott,
der sich vor dem Leid seiner Geschöpfe abwendet.

Mein Gott, Mein Gott,
warum hast du mich verlassen?
Worte am Kreuz.

Gut, dass diese Worte in der Bibel stehen.
( Dass sie nicht rausgestrichen wurden. )

Gut, dass einem Menschen im Leid
nicht das Klagen verwehrt werden kann.

Das Gefühl von Verlassenheit
lässt sich nicht wegwischen ...
mit so Sätzen wie: 
Wird schon werden.
Alles halb so schlimm.
Wer weiß, wofür es gut ist.
Ende gut, alles gut.
Kiek an End.

Wir brauchen nicht bange sein,
Gott hält unser Klagen aus -
er hält echte Gefühle aus.

Gott hat sich in die totale Verlassenheit
hineingelebt - er ist Mensch geworden -
er hat Blut und Wasser geschwitzt,
ist für uns gestorben.

Er kuckt nicht weg,
weil ihm Gefühle unangenehm werden könnten.

Gott ist treu.

Kann auch ein Weib ihres Kindleins vergessen,
daß sie sich nicht erbarme über den Sohn ihres Leibes?
Und ob sie seiner vergäße,
so will ich doch deiner nicht vergessen.
Siehe, in die Hände habe ich dich gezeichnet;
deine Mauern sind immerdar vor mir.

Das ist der Zuspruch, der auf die Klage folgt.

Gott kann Israel nicht vergessen.
Er hat sich ein Merkzeichen in 
seine Hände eingeritzt - eine Tätowierung.
In seinen Händen steht: 
Ich vergesse euch nicht.
Ich verlasse euch nicht.
Ihr seid meine Kinder.
Ihr seid meine Welt.

Von dem Bild bin ich fasziniert.
Sofort dachte ich an das Gospel-Lied:

Er hält die ganze Welt in seiner Hand -
He´s got the whole world in his Hand,

Er hält den Tag und die Nacht in seiner Hand …
Er hält die Sonne und den Mond in seiner Hand ...
Er hält die Bäume und die Büsche in seiner Hand ...
Er hält den Vater und die Mutter in seiner Hand ...

Er hält auch dich und mich, 
mein Bruder, meine Schwester 
in seiner Hand ...

He´s got you and me in his hand.


Amen